Kreis Lippe/Lemgo. Um langfristig auf der Erde lebenswerte Bedingungen für Mensch und Umwelt zu erhalten, ist auf mehreren Ebenen ein Umdenken gefragt. Viele Unternehmen haben die Zeichen der Zeit bereits erkannt, verändern ihre Produktionsweise, um nachhaltiger zu sein und den Klimaschutz zu fördern. Für andere ist gerade das Thema Nachhaltigkeit der Ausgangspunkt gewesen, überhaupt ein Unternehmen zu gründen.

Dazu gehören auch die Start-ups Cascaritas und Ve.Mura. Das theoretische und praktische Rüstzeug, viel Unterstützung und den Raum zur Entwicklung ihrer Ideen haben sie in Lemgo erhalten: im Gründungszentrum Campus Foundery OWL der Technischen Hochschule Ostwestfalen-Lippe (TH OWL) und dessen einzigartigen Masterstudiengang „Applied Entrepreneurship“.

Hier lernen Studierende von der Pike auf anhand eigener, echter Projekte, wie sie ein eigenes Unternehmen auf die Beine stellen – von der ersten Idee bis zur Gründung. Der Fokus liegt auf der Praxis, mit ganz viel „Learning by doing“. Der Campus in Lemgo bietet beste Voraussetzungen: Das IA-Lab in der Smartfactory OWL ist für den Bereich IT/Elektronik ausgerüstet, das „FoodLab“ steht für den Bereich Lebensmittel, Getränke, Kosmetik zur Verfügung und im „KreativLab“ können sich die Studierenden im Bereich Video, Foto und Ton ausprobieren. Sehr unterschiedliche Projekte wurden und werden an der Campus Foundery OWL verwirklicht. Für zwei von ihnen stand das Thema Nachhaltigkeit ganz oben auf der Agenda.

Ve.Mura: Frischer Putz aus alten Steinen

Das Bauwesen gehört zu den ressourcenintensivsten Wirtschaftszweigen. Jedes Jahr fallen in Deutschland rund 250 Millionen Tonnen mineralische Abfälle an, dazu gehören auch Bau- und Abbruchabfälle (Bauschutt). Für die Gründer des Start-ups Ve.Mura ist der vermeintliche Abfall eine wertvolle Ressource: Domenico Famá und Laura Muschalla produzieren aus Bauschutt mineralische Kalkspachtel, -farben und Putzarten für die Innenraumgestaltung. Alte Steine, Dachziegel oder Glas werden dafür klein geschreddert und mit Kalk vermischt, so dass ein neuer nachhaltiger Werkstoff für die Innenraumgestaltung entsteht.

Domenico Famá und Laura Muschalla produzieren aus Bauschutt mineralische Kalkspachtel, -farben und Putzarten für die Innenraumgestaltung. Foto: Ve.Mura

Domenico Famá und Laura Muschalla haben sich schon 2016 während ihres Innenarchitektur-Studiums in Detmold kennengelernt. Bei einer Abschlussarbeit ging es darum, ein nachhaltiges Haus zu gestalten. Als sie auf der Suche nach einem passenden nachhaltigen Werkstoff auf Recycling-Basis einfach nicht fündig wurden, kam ihnen die Idee: „Wir probieren einfach selbst etwas aus“, erinnert sich Domenico Famá.

Im Zuge des Masterstudiums „Applied Entrepreneurship“ an der TH OWL in Lemgo haben sie das Projekt von Anfang an auf professionelle Beine gestellt mit dem klaren Ziel, am Ende ein Unternehmen zu gründen. Weiteres theoretisches und praktisches Rüstzeug in Sachen Putzherstellung und -verarbeitung nach antikem Vorbild haben sich die beiden im Rahmen eines Kurztrips nach Bologna (Italien) geholt. Dort absolvierten sie einen Kursus bei der italienischen Architektenkammer. „Bei einem Spaziergang haben wir dann ein Stück der alten Stadtmauer entdeckt, und ich habe Domenico gefragt: Wie heißt das auf Italienisch?“, erinnert sich Laura Muschalla. „Vecchie Mura”, lautete die Antwort. Der Firmenname war geboren. Um die Aussprache für deutsche Zungen zu erleichtern, wurde es verkürzt zu: „Ve.Mura“. Die stilisierte Stadtmauer ist mittlerweile Teil ihres Firmenlogos.

Ein Jahr dauerte die Entwicklung ihres Werkstoffs. Für die ersten Versuche auf dem Weg zum Recycling-Putz besorgten sie sich alte Steine im Ziegeleimuseum Lage, die sie in mühevoller Handarbeit zerkleinerten und das Steinmehl neu mischten. Der vielseitige neue Werkstoff ist eine Verbindung aus 30 Prozent Kalk und 70 Prozent speziell aufbereitetem Bauschutt. Neben der Nachhaltigkeit bietet er weitere Vorteile: Der Kalkputz ist wasserabweisend, antibakteriell und verhindert so auch Schimmelbildung, er ist atmungsaktiv, frei von chemischen Zusatzstoffen und fördert ein gesundes Raumklima.

„Unsere Idee kam anscheinend genau zur richtigen Zeit.“ Domenico Famá 

 

Inzwischen umfasst das Portfolio von Ve.Mura neben Kalkputz auch Kalkfarbe und -spachtel. Ihre Rohstoffe – bereits in der gewünschten Körnung fertig geschreddert – bekommen die jungen Unternehmer von einem Recyclinghof in Berlin, wo inzwischen auch der Firmensitz von Ve.Mura ist. Mittlerweile wurden bereits einige Projekte mit den Produkten von Ve.Mura realisiert. Sowohl die Kunden als auch die Handwerker seien von den nachhaltigen Werkstoffen, die sich sehr gut und einfach verarbeiten lassen, überzeugt, sagen Laura Muschalla und Domenico Famá. „Unsere Idee kam anscheinend zur richtigen Zeit“, sind sie sich sicher. Künftig wollen sie auch Fliesen aus ihrem Verbundwerkstoff anbieten. „Dafür braucht man ja sogar mehr Material, so dass noch mehr recycelt wird“, betont Laura Muschalla.

 

Cascaritas: Limonade aus Kaffeefruchtfleisch erfrischt nachhaltig

Ob als Espresso, Cappuccino oder in der Filtermaschine zubereitet: Kaffee gehört zu den Lieblingsgetränken der Deutschen. Hergestellt wird das Pulver aus gerösteten und gemahlenen Kaffeebohnen. So weit, so bekannt. Weniger bekannt ist, dass das Fruchtfleisch, das die Bohnen umhüllt, meist ungenutzt bleibt und auf dem Müll landet. Hier setzt das junge Bielefelder Unternehmen „Cascaritas“ an und nutzt das getrocknete Fruchtfleisch als Rohstoff, um daraus Tees und Limonade herzustellen.

Die Idee dazu hatte Kay Schadewald, als er während Corona längere Zeit in Mexiko verbrachte und von dort aus am Studium in Deutschland teilnahm. Während der Onlinevorlesungen ab 2 Uhr nachts hielt er sich mit landestypischen Kaffeerezepten – aufgekocht mit Zimt und Zuckerrohrkegel – wach. Zurück in Deutschland war ihm klar: So etwas, am besten als fertiges Getränk, fehlt in Deutschland!

Aus dem Fruchtfleisch, das die Kaffeebohnen umhüllt, produzieren Sarah Holzhauer und Kay Schadewald Tees und Limonade. Foto: Andreas Barnekow

Vermeintlicher Abfall als wertvolle Ressource

Bei seiner Recherche zu Kaffeeprodukten stieß er eher zufällig auf die Kaffeekirsche, also die Frucht, in der die Kaffeebohnen stecken, und erkannte ihr Potenzial – vor allem in Sachen Nachhaltigkeit und Umweltschutz. Denn bisher fand das meiste Kaffee-Fruchtfleisch keine Verwendung, nur ein geringer Teil wird als Futtermittel fürs Vieh oder als Dünger verwendet. „Eine riesige Verschwendung. Um ein Kilo Kaffeebohnen zu bekommen, fallen vier Kilo Fruchtfleisch an“, sagt Kay Schadewald.

Im Rahmen des Studiengangs „Applied Entrepreneurship“ verfolgte er daher ab 2022 gemeinsam mit Sarah Holzhauer und einem weiteren Kommilitonen die Idee, aus Kaffeekirschen ein Genussmittel herzustellen und es auf dem deutschen Markt zu etablieren.

Eine über einjährige Entwicklungszeit hat es gebraucht, um aus dem getrockneten, zerkleinerten Fruchtfleisch, das zunächst wie Tee aufgebrüht wird, eine schmackhafte Limo zu kreieren. Bei Veranstaltungen an der TH haben sie es Studierenden zum Probieren angeboten, Fragebögen verteilt, um zu erfahren, wie das Getränk ankommt und was geschmacklich verändert werden muss.

2023 gründeten sie schließlich das Unternehmen „Cascaritas“. Der Name ist eine Verniedlichung des spanischen Wortes „Cascara“ und bedeutet so viel wie „kleine Fruchtstückchen“. Hierüber vertreiben sie seitdem sowohl die Limonade also auch verschiedene Teesorten auf Basis der Kaffeekirsche.

Die Produktentwicklung ist ein konstanter Prozess und noch nicht abgeschlossen. So wurde jüngst der Koffeingehalt der Limonade erhöht. Vorher entsprach er etwa dem normaler Cola, jetzt sei es eher wie ein Energydrink oder eine Tasse Kaffee. Von vormals 10 auf jetzt 24,7 Milligramm pro 100 Milliliter. Ein ungewöhnlicher Wert, der marketingtechnische Gründe hat: „24 und 7 – das spielt mit dem englischen Slogan ‚Twentyfour-seven‘“, erklärt Sarah Holzhauer. Heißt: Das Getränk schmeckt und belebt rund um die Uhr.

Erfolg braucht starke Partner

Für Serienproduktion braucht man Partner. Das getrocknete und zerkleinerte Fruchtfleisch liefert eine Hacienda aus Südamerika. Hergestellt wird die Limonade dann in der Detmolder Privat-Brauerei Liebhart – nach dem Rezept von Cascaritas. Hier wird der Aufguss aus den getrockneten Kaffeefrüchten mit frischem Wasser aus der Liebhart-Quelle gemacht. Hinzu kommen ansonsten nur noch Quellkohlensäure, Zitronensaftkonzentrat, Rohrzucker und natürliches Koffein – fertig.

Ihre Tees stellt das vierköpfige Cascaritas-Team selbst in seinen Räumlichkeiten in Bielefeld her. Und auch hier feilen Kay Schadewald, Sarah Holzhauer, André Prang und Daniel Salzburg immer weiter an ihren Produkten und Vertriebswegen. Die Tees kann man über den Online-Shop bestellen, die Limo „Caraté” gibt es auch in mehreren Supermärkten in OWL. Um langfristig erfolgreich sein zu können, will das junge Unternehmen Vertrieb und Umsatz steigern. „Momentan sind wir auch auf Investorensuche“, erklärt Kay Schadewald.

 

Weitere Infos zu beiden Unternehmen gibt es unter www.vemura.de bzw. cascaritas.de.