Berlin . Ostwestfalen-Lippe ist ein starkes Stück Deutschland. Wir haben die Hauptstadt des Puddings, die Wiege der Kaffeetüte, moderne Erntesysteme und verbinden die Welt in jeder Steckverbindergröße. Trotzdem bröckelt es auch hier – was wir vor allem an den Ankündigungen erkennen, dass auch in unserer schönen Region vermehrt Arbeitsplätze ins Ausland verlagert werden sollen.

Eines der Dinge, die sich verändert haben, ist die Anzahl der Arbeitsstunden, die wir alle in den Erhalt unseres Wohlstandes und der sozialen Sicherheit investieren. Während wir im Jahr 1990 noch 40 Millionen Beschäftigte in Deutschland waren, sind es heute fünf Millionen mehr – und dennoch bleibt die Zahl der geleisteten Arbeitsstunden in etwa gleich, wie das Münchener Ifo-Institut ausgerechnet hat.

Jede nicht geleistete Arbeitsstunde ist ein Verzicht auf Zukunft

Bis 2030 werden jährlich im Durchschnitt mehr als 500.000 Menschen mehr aus dem Arbeitsmarkt ausscheiden als eintreten – auch das sind keine guten Nachrichten. Jede nicht geleistete Arbeitsstunde ist ein Verzicht auf Zukunft! Was ist also zu tun? Wie laden wir zu mehr Bock auf Arbeit ein?

An der Spitze meiner Antworten steht: Mehr Netto vom Brutto! Leistung wird immer stärker belastet und damit weniger wertgeschätzt. Damit sind nicht nur die Steuern gemeint, sondern vor allem auch die stetig und stark steigenden Sozialversicherungsabgaben. Die Politik muss ausgabensenkende Reformen auf den Weg bringen und den Menschen mehr Netto von ihrem hart erarbeiteten Bruttolohn überlassen.

Die Vereinbarkeit von Familie und Beruf ist ein weiterer wichtiger Aspekt, um mehr Bock auf Arbeit zu schaffen. Wenn es der Politik nicht gelingt, Arbeit und Familie durch eine umfassende Betreuungsinfrastruktur – von der Kita bis zur Pflege – zu verbinden, verhindert sie die Arbeit vieler Menschen. Vor allem viele Frauen müssen heute in Teilzeit arbeiten, obwohl sie lieber Vollzeit arbeiten würden.

„50.000 Schüler verlassen die Schule jährlich ohne Abschluss – das ist eine Anklage gegen die Bildungspolitik.“

Frust am Anfang des Berufslebens schafft auch keine Freude. 50.000 Schüler verlassen die Schule jährlich ohne Abschluss – das ist eine Anklage gegen die Bildungspolitik. Diese jungen Menschen für das Beschäftigungssystem zu gewinnen, ist eine zentrale Herausforderung, die die Politik lösen muss, um dem Fach- und Arbeitskräftemangel etwas entgegenzustellen. Eine umfassende Berufsvorbereitung inklusive einer bedarfsgerechten Berufsorientierung ist die überzeugendste Einladung an junge Menschen für ein erfülltes und erfolgreiches Berufsleben.

Diskussion über 4-Tage-Woche setzt ein falsches Signal

Mein letzter Punkt: Wir müssen die wertvolle Kompetenz Älterer länger in den Betrieben halten. Lust auf ein gesundes und langes Arbeitsleben entsteht nicht nur aus materiellen Anreizen, sondern auch durch eine umfassende Gesundheitsvorsorge. Vorruhestandsanreize wie die abschlagsfreie Rente mit 63, können wir uns nicht mehr leisten – und gehören auf das politische Abstellgleis.

Die Debatten über Work-Life Balance oder die 4-Tage-Woche bei vollem Lohnausgleich setzen ebenso falsche Signale. Arbeit stiftet Sinn und ist unser bestes soziales Sicherungsnetz. Ein Leben ohne Arbeit ist ein tristes Leben – und möglichst wenig zu arbeiten, kann weder ein wirtschaftliches noch ein gesellschaftliches Ziel sein.

„Diejenigen, die alles für nicht veränderbar erklären, werden politischen wie wirtschaftlichen Schiffbruch erleiden.“

Wir müssen ambitioniert auf die demographische Herausforderung reagieren. Diejenigen, die alles für nicht veränderbar erklären, werden politischen wie wirtschaftlichen Schiffbruch erleiden. Von Tucholsky stammt die Behauptung, das Volk verstehe das meiste falsch, aber es fühlt das meiste richtig. Das mag eine steile These sein, aber der gesunde Menschenverstand ahnt, dass Stillstand Rückschritt ist.

Mehr über Steffen Kampeter

  • Steffen Kampeter wurde am 18. April 1963 in Minden geboren, ist verheiratet und hat drei Kinder.
  • Von 1990 war er bis 2016 Mitglied des Deutschen Bundestags.
  • Von 2009 bis 2015 war er Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister der Finanzen.
  • Seit Juli 2016 ist Steffen Kampeter Hauptgeschäftsführer der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA).