Berlin/Ostwestfalen-Lippe . Die Bundestagswahl ist vorbei und vieles deutet auf eine Koalition aus Union und SPD hin. Besonders die Sozialdemokraten müssten aber über ihren Schatten springen und einschneidende Veränderungen mittragen wollen, sagt zum Beispiel Prof. Dr. Michael Hüther. Der war übrigens vor wenigen Monaten zu Gast bei der Hauptversammlung des Arbeitgeberverbandes Minden-Lübbecke zu Gast und mahnte in seinem Vortrag Mitte Juni die Aufhebung der Schuldenbremse an.

In einem Statement auf LinkedIn betont Prof. Dr. Michael Hüther, der Direktor des Instituts der deutschen Wirtschaft, dass die Parteien nun schnell für eine stabile Koalition sorgen müssten, um schnellstmöglich handlungsfähig zu sein und erste Maßnahmen für wirtschaftliche Impulse zu ergreifen. „Gerade die Wahlverliererin SPD wird jetzt über ihren Schatten springen müssen. Wir haben keine Wahl – Deutschland braucht Stabilität, Deutschland braucht schnell eine handlungsfähige Bundesregierung mit der Bereitschaft zu den gebotenen Reformen“, schreibt Hüther.

Beim Blick auf die Außen- und Sicherheitspolitik kritisiert der Wirtschaftswissenschaftler, dass die Zeitenwende nach dem russischen Überfall auf die Ukraine zwar angekündigt, aber nicht vollzogen worden sei und warnt, dass „das ein historischer Fehler gewesen sein“ könnte. Dringend müssten deshalb Deutschland und die EU sicherheitspolitisch ertüchtigt werden. Und zwar noch schneller, als es Experten schon vor Ausbruch des Ukraine-Krieges angemahnt hatten.

Schon vor mindestens sieben Jahren wurden dringende Reformen verschlafen

Die Ursachen für die Wirtschaftskrise in Deutschland lägen aber tiefer und die Ursprünge reichten deutlich weiter zurück als bis zum 24. Februar 2022. Laut Hüther nahm die Krise schon 2018 – also zwei Jahre vor Ausbruch der Conora-Pandemie -, ihren Lauf. Spätestens seit dieser Zeit schlagen die negativen Folgen ausbleibender Investitionen, zum Beispiel in die Infrastruktur, voll durch. Hüther beschreibt es nicht nur in seinem Statement nach der Bundestagswahl drastisch: „Der Standort verfällt.“ Schon bei der Jahrestagung des Arbeitgeberverbandes Minden-Lübbecke bei der Wortmann AG in Hüllhorst drückte sich Hüther unmissverständlich aus: „Der Laden ist runtergerockt.“ Vor Monaten wie auch gegenwärtig stellt er fest: „In guten Jahren wurden Steuereinnahmen verprasst.“ Nun dränge die Zeit. Deutschland sei nur stark, wenn es der Wirtschaft gut gehe.

„Die nächsten vier Jahre werden die schwierigsten der vergangenen 75 Jahre.“ Prof. Marcel Fratzscher

Marcel Fratzscher berät auch die Politik. Foto: DIW/Florian Schuh

Prof. Marcel Fratzscher, Präsident des Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung, fordert: „(Die) nächste Bundesregierung braucht Mut und Ehrlichkeit.“ Fratzscher benennt drei Prioritäten: Die Bundesregierung müsse bei den Menschen verloren gegangenes Vertrauen zurückgewinnen. Sie müsse den Menschen „mit Mut und Ehelichkeit“ erklären, dass die kommenden vier Jahre für die Bevölkerung hart würden. „Und die schwierigsten der vergangenen 75 Jahre.“ Industrie und Bürgerinnen sowie Bürger müssten sich auf Verzicht und Zumutungen einstellen. Denn unweigerlich würde es bei der Transformation von Wirtschaft und Gesellschaft auch Verlierer geben.

Zudem fordert Fratzscher offensive Investitionen. Insbesondere in die Revitalisierung maroder Straßen, Brücken, Schienen und sonstiger Infrastruktur , Förderung der Innovation am Standort Deutschland und nicht zuletzt auch in die Bildung. Ganz oben auf der Liste zwingend notwendiger Investitionen steht die Verteidigungsfähigkeit. Weil eine Reform der Schuldenbremse jedoch unmöglich erscheine, solle die neue Bundesregierung pragmatisch denken und Sondervermögen bilden.

Klarer Fokus auf eine starke EU

Bei der dritten Priorität nimmt Fratzscher die Europapolitik ins Visier. Hier müsse die neue Bundesregierung einen radikal anderen Kurs fahren als die Ampel-Koalition beziehungsweise darf die EU, wie von einigen Parteien im Wahlkampf gefordert-, nicht schwächen. „Vielmehr brauchen wir bei Verteidigung, Binnenmarkt, Innovation und Wettbewerbsfähigkeit primär einen gemeinsamen europäischen Ansatz“, fordert Fratzscher.

Clemens Fuest, Präsident des ifo Instituts, Vorstand, Forschungsgruppe Steuer- und Finanzpolitik, Experte für Wirtschafts- und Finanzpolitik, Internationale Besteuerung, Steuerpolitik, Europäische Integration https://www.ifo.de/fuest-c

Prof. Dr. Dr. Clemens Füst Präsident des ifo Institut – Leibnitz-Institut für Wirtschaftsforschung an der Universität München warnte schon vor der Bundestagswahl davor, bei der Finanzierung notwendiger Mehrausgaben ausschließlich auf Schulden zu setzen. „Es wäre gefährlich, wenn die nächste Regierung den Weg des geringsten politischen Widerstands ginge. Ohne Umschichtungen, Ausgabenkürzungen und wachstumsorientierte Reformen ist eine nachhaltige Erholung der Wirtschaft nicht möglich“, schrieb Füst schon am 20. Februar. Denn die Aufnahme von Schulden verschiebe das Problem, wer die Lasten tatsächlich zu tragen habe, auf später. Hohe Staatsschulden würden keine Linderung der Probleme bringen, sondern hätten gegenteilige Effekte: Steigende Zinsen hemmen private Investitionen und möglicherweise käme es auch zu Inflation.

Füst fordert Subventionsabbau und eine Bremse bei den Sozialausgaben

Vielmehr sollten Staatsausgaben auf den Prüfstand gestellt werden und über Jahre eine Umschichtung der Ausgaben vorgenommen werden. Als Beispiele nannte Füst den Abbau von Subventionen und dein Entgegenwirken bei den steigenden Ausgaben für soziale Sicherungssysteme.

Lesen Sie auch: Energiewende schafft laut Prof. Dr. Claudia Kemfert enorme wirtschaftliche Chancen

Neben den Umschichtungen und Ausgabenkürzungen müssten Regulierungen abgeschafft und Bürokratie nachhaltig abgebaut werden. Nach ifo-Studien seien das seit drei Jahren enorme Bremsklötze. So wäre die deutsche Wirtschaftsleistung um 146 Milliarden höher gewesen, wenn Regulierung und Bürokratie schon ab 2015 zurückgefahren worden wären. Die Staatskasse wäre laut Füst um 30 Milliarden Euro besser gefüllt gewesen.