Berlin . Deutschland hat sich ehrgeizige Klimaziele gesetzt und will bis zum Jahr 2030 80 Prozent seines Energiebedarfs aus erneuerbaren Energien decken und die Treibhausgasemissionen im Vergleich zu 1990 um 65 Prozent senken. Dies bedeutet, dass die Energieeffizienz gesteigert und die sogenannte Sektorenkopplung vorangetrieben werden muss. Die selbst gesteckten Ausbauziele der erneuerbaren Energien werden bisher so gut wie nicht erfüllt, auch wenn sich jüngst das Ausbautempo vor allem der Solarenergie deutlich erhöht hat. Eine große Lücke ist nach wie vor beim Ausbau der Windenergie zu beobachten. Das Ausbautempo sowohl bei Windenergie an Land als auch auf See müsste verdreifacht werden, um die Ziele noch erreichen zu können.

Erneuerbare Energien: Dringender Investitionsbedarf bis 2030

Enorme Investitionen sind nötig, um den Ausbau der erneuerbaren Energien, Wasserstoff, Wärmepumpen und Elektrofahrzeuge samt Infrastrukturen voranzutreiben. Die genaue Höhe dieser Investitionen ist aufgrund unterschiedlicher Annahmen schwierig abzuschätzen. Der so genannte „Fortschrittsmonitor Energiewende“ von der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft EY, früher „Ernst & Young“ und Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft (BDEW) geht davon aus, dass dazu 721 Milliarden Euro allein bis 2030, also mehr als 100 Milliarden Euro pro Jahr benötigt werden. Knapp die Hälfte dieser Investitionen werden laut dieser Studie allein in die Energieerzeugung investiert werden müssen.

Kommunen als treibende Kraft der Energiewende

Die Höhe der Investitionen ist zwar beträchtlich, sie können aber auch erheblich zum Wachstum und zur Wertschöpfung beitragen – insbesondere regional. Die wirtschaftlichen Chancen sind gerade für Kommunen groß, denn in vielen Fällen sind die Kommunen die zentralen Akteure bei der Umsetzung der Energiewende: Neben einer direkten Wertschöpfung und der Schaffung von neuen Arbeitsplätzen, die beispielsweise durch neue Unternehmen im Bereich erneuerbare Energien entstehen, können indirekte Wertschöpfungseffekte generiert werden. Mittlerweile gibt es immer mehr Kommunen, die die Energiewende aktiv und dezentral umsetzen und die von der Energiewende profitieren. Vor allem können enorme Energiemengen, -kosten und Treibhausgase durch eine verbesserte Energieeffizienz im Gebäudebereich erzielt werden. So sind viele Kommunen aktiv, wenn es darum geht, Energie in öffentlichen Gebäuden einzusparen oder auch den öffentlichen Personennahverkehr zu fördern und die Innenstädte emissionsfrei zu bekommen. Dem verstärkten Einsatz der Elektromobilität auf der Straße und der Schiene kommt neben der Einführung und Umsetzung der kommunalen Wärmeplanung eine zentrale Rolle zu.

Das Tempo beim Ausbau der Windenergie hat sich zwar beschleunigt, ist aber immer noch zu langsam, schreibt Claudia Kemfert. Foto: pr/Oliver Fiegel

Die Energiewende ist also nicht nur ein Kostenfaktor, sondern auch der Wirtschaftsmotor der Zukunft. Laut der oben erwähnten Studie von EY und BDEW können die bis 2030 erforderlichen Investitionen eine Bruttowertschöpfung von über 52 Milliarden Euro pro Jahr anstoßen. Dies entspricht 1,5 Prozent der gesamten Bruttowertschöpfung in Deutschland. Für das vergangene Jahr wird die durch die Energiewende tatsächlich ausgelöste Bruttowertschöpfung auf über 28 Milliarden Euro geschätzt. Damit konnte gut die Hälfte des jährlichen Potenzials realisiert werden. Dies liegt vor allem an dem im Jahr 2023 erfolgten Ausbau der Stromerzeugung und der Stromnetze.

Bürgerenergieanlagen stärken Akzeptanz für die notwendigen Maßnahmen

Doch hängt das Gelingen der Energiewende auch von vielen aktiven Bürgerinnen und Bürgern ab. Ca. 1,5 Millionen Menschen generieren aktuell ihre eigene Energie. Die Energiewende wird zu großen Anteilen noch immer von Privatpersonen vorangetrieben, aktuell gehen etwa 30 Prozent der gesamten Investitionen in erneuerbaren Energien auf Privatpersonen zurück. Gerade zu Beginn der Energiewende stieg die Anzahl der Energiegenossenschaften rasant an, die eine wichtige Form von Bürgerenergie sind. Als Bürgerenergie werden Projekte bezeichnet, in denen Bürger oder lokale Unternehmen Eigenkapital in erneuerbare Energieanlagen investieren.

Die Bürgerbeteiligung treibt nicht nur die Energiewende voran, sondern stärkt auch die Akzeptanz für die notwendigen Maßnahmen und damit die Demokratie. Prof. Dr. Claudia Kemfert

Bürgerenergieprojekte sind somit in Deutschland von ihrer Größenordnung her ein noch immer wesentlicher Bestandteil der Energiewende, auch wenn sich der Anteil nach einem deutlichen Anstieg bis zum Jahr 2014 aufgrund erschwerter Rahmenbedingungen nicht weiter erhöht hat. Bürgerenergieanlagen bringen vor allem den Zubau von Windenergie an Land beständig voran. Aufgrund der jüngst deutlich verbesserten Rahmenbedingungen dürfte auch die Beteiligung an Photovoltaikanlagen wieder zunehmen. Die Bürgerbeteiligung treibt nicht nur die Energiewende voran, sondern stärkt auch die Akzeptanz für die notwendigen Maßnahmen und damit die Demokratie.

Energiewende als Wirtschaftsmotor: Bruttowertschöpfungspotenzial

Die Energiewende samt Ausbau erneuerbarer Energien, Installation von Speichern und Netzen erfordert große Mengen an Investitionen, die wiederum enorme wirtschaftliche und Chancen wie regionale Wertschöpfungen samt zukunftsfähigen Arbeitsplätzen schaffen. Doch auch überregional ist der Umstieg auf erneuerbare Energien nicht nur in puncto Klimaschutz von enormer strategischer Bedeutung. In Kombination mit dadurch angestoßenen technologischen Neuerungen schafft er auch Spielräume für Wohlstandswachstum.

Das ist Prof. Dr. Claudia Kemfert

  • Prof. Dr. Claudia Kemfert ist Leiterin der Abteilung Energie, Verkehr, Umwelt im Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW Berlin) und Professorin für Energiewirtschaft und Energiepolitik an der Leuphana Universität.
  • Kemfert studierte Wirtschaftswissenschaften an den Universitäten Bielefeld, Oldenburg und Stanford.