Minden . Neben den großen Krisen wie Corona-Nachwehen und den Ukraine-Krieg mit der daraus resultierenden Energiekrise nennt er auch die Gefahr eines wieder aufflammenden Nahost-Konflikts infolge des Terrorangriffs der Hamas auf Israel. All das drückt auf die Stimmung in der Wirtschaft und somit auch auf die Konsumfreude der Menschen. Doch Karl-Ernst Hunting von der IHK-Zweigstelle Minden erkennt auch Chancen für die Mindener Innenstadt.

Herr Hunting, wie nehmen Sie die Stimmung in der heimischen Wirtschaft wahr?

Zunehmend leidet die Wirtschaft unter sich verschärfenden und unsicheren Rahmenbedingungen. Das zeigt nicht nur die aktuelle Herbstkonjunkturumfrage der Industrie- und Handelskammer Ostwestfalen zu Bielefeld. Sondern das belegen auch unsere Gespräche mit den Unternehmen.

Zeichnet sich denn eine Besserung ab?

Die aktuelle Lage, vor allem aber auch die Zukunftserwartung hat sich laut der Umfrage vom Sommer verschlechtert. Allerdings sind laut jüngster Prognosen von führenden Wirtschaftsforschungsinstitutionen erste Silberstreifen am Horizont erkennbar. So wird für 2024 wieder ein Wachstum vorausgesagt.

Auf der einen Seite werden Hoffnungsschimmer prognostiziert, dem entgegen steht die aktuelle Stimmung. Wie begründen die Unternehmen ihre schlechteren Zukunftserwartungen?

Grundsätzlich ist laut unserer jüngsten IHK-Konjunkturumfrage die Bewertung der Zukunftsaussichten aktuell von Zurückhaltung geprägt. Die weitere Entwicklung der Rahmenbedingungen ist teilweise absehbar schlecht und teilweise unsicher. Zu diesen Rahmenbedingungen gehören beispielsweise die Nachfrage, der Personalmangel und die Arbeitskosten. Daneben stehen Bürokratie, hohe Auflagen und geringes Entscheidungstempo bei den Behörden einer Belebung entgegen. Eine weitere kräftige Bremse sind seit Jahren die hohe Steuerlast und die hohen Energiekosten. Unser Wirtschaftsstandort leidet massiv.

Gibt es konkrete Faktoren, die Anlass zur eben beschriebenen Hoffnung geben?

Die Inflationsrate ist im Oktober in NRW auf 3,1 Prozent gefallen. Das kann im Vorfeld des Weihnachtsgeschäftes den Konsum wieder ein wenig ankurbeln und auch Hoffnung für die kommenden Monate geben. Die Unternehmen suchen zu dem immer nach Wegen für eine positive Entwicklung. Die heimischen Betriebe haben in der Vergangenheit stets gezeigt, dass sie auf Krisen innovativ reagieren können. Ansonsten wäre unsere Region nicht so wirtschaftsstark. Deshalb bin ich zuversichtlich, dass unsere Wirtschaft auch die aktuellen Krisen überwinden wird. Und wenn sich beispielsweise durch Maßnahmen von Bund, Land und Kommunen die Standortfaktoren und Rahmenbedingungen schnell und deutlich verbessern, werden die Unternehmen auch darauf reagieren und wieder verstärkt am heimischen Standort tätig.

Andere Länder locken mit massiven Investitionsanreizen. Wird das gravierende Folgen auf die deutsche Wirtschaft haben?

Wenn sich die erwähnten Standortfaktoren verbessern, dann wird sich die aktuell deutliche Zurückhaltung der Industrieunternehmen bei den Inlandsinvestitionen und die Verschiebung von Investitionen ins Ausland entspannen. Allerdings sind die erhöhten Auslandsengagements nicht oder vielleicht auch nur teilweise umkehrbar, zumindest nicht kurzfristig.

Welche Folgen hat das konkret?

Die Inlandsinvestitionen der Industrie beginnen sich von Ersatzbeschaffungen und Kapazitätsausweitungen in Richtung Rationalisierungen zu verschieben. Positiv wäre eine Entspannung der Beziehungen zwischen der Volksrepublik China und Taiwan. Und natürlich eine Entschärfung der Brennpunkte Nahost und Ukraine.

Laut dem DIHK-Präsidenten Peter Adrian hätten viele Unternehmen ein großes Interesse daran, in der Ukraine zu investieren. Trifft das ihres Wissens auch auf Unternehmen aus dem Mühlenkreis zu?

Von ostwestfälischen Unternehmen und damit auch den Betrieben im Mühlenkreis sind uns aktuell keine konkreten Anfragen, Fälle oder Projekte zu Investitionen in der Ukraine bekannt. Aus Gesprächen mit den hiesigen Unternehmen verspüren wir noch eine allgemeine Zurückhaltung, die mit den andauernden Kampfhandlungen begründet werden könnte. Wir als Industrie- und Handelskammer Ostwestfalen und viele Unternehmen verfolgen aber natürlich mit großer Aufmerksamkeit die weitere Entwicklung in der Ukraine.

Machen wir einen Schnitt und wenden uns nach der Lage der Industrieunternehmen der Lage der Handelsunternehmen zu. Nach einer leichten Erholung von Herbst 2022 zu Frühjahr 2023 erwarten die Hälfte der heimischen Unternehmen im kommenden Halbjahr gleichbleibende Umsätze. 15,1 Prozent der Handelsunternehmen rechnen sogar mit steigenden Umsätzen. Aus welchen Bereichen des Handels stammen diese Unternehmen?

Die Umfrageergebnisse stammen aus dem Gesamthandel in Minden-Lübbecke, der den Einzelhandel, den Großhandel und die Handelsvermittlungen umfasst. Wird der Einzelhandel separat betrachtet, haben wir ähnliche Umfrageergebnisse.

Auf den ersten Blick liest sich das ja ganz gut. Aus vielerlei Sicht leidet auch der Handel. Wo liegen hier die Gründe? Ausschließlich im Konsumverhalten der Kunden?

Den Handel trifft die Bürokratie ähnlich wie die Industrie und die Dienstleistungsbranche, wobei natürlich die Inhalte teilweise andere sind. Vor allem die Coronazeit hat für alle unübersehbar gezeigt, wie sich in kurzer zeitlicher Folge ändernde, weitreichende und tief einschneidende Regelungen massiv auf die Umsätze, die Rücklagen und letztendlich auf die Durchhaltefähigkeit der Innenstadtgewerbetreibenden auswirken. Aber auch Themen wie beispielsweise die Meldungen für die amtliche Statistik, die als „Sondernutzung öffentlicher Flächen“ bezeichnete Aufstellung beispielsweise von Tischen und Stühlen in der Fußgängerzone, die Vorgaben der Landesbauordnung und die Bearbeitung von Bauanträgen spielen eine Rolle. Etwas mehr als ein Drittel der Handelsunternehmen rechnen mit fallenden Umsätzen.

Welche Branchen sind hier betroffen?

Um Vermutungen auf Antworten von einzelnen Unternehmen aus Minden-Lübbecke auszuschließen, gebe ich eine ostwestfalenweite Antwort: Beispielsweise geht besonders der Einzelhandel mit Elektronik von zukünftig fallenden Umsätzen aus. Andererseits sehen der ostwestfälische Einzelhandel mit Nahrungs- und Genussmitteln sowie der ostwestfälische Einzelhandel mit Textil, Bekleidung, Schuhen und Lederwaren die zukünftigen Umsatzerwartungen deutlich besser. Hier gehen vergleichsweise „moderate“ 16 Prozent beziehungsweise 25 Prozent der Betriebe von fallenden Umsätzen aus.

Insgesamt: Oftmals stütze der Konsum in turbulenten Zeiten bis zu einem gewissen Grad die Wirtschaft. Kann das nun auch wieder funktionieren?

Der Konsum hat die Wirtschaft in der Region immer wesentlich unterstützt. Das hat in den vergangenen Monaten nach Ausbruch des Ukraine-Krieges und der zwischenzeitlich sehr hohen Inflation allerdings nachgelassen. Wie erwähnt, spricht die aktuelle Entwicklung der Inflationsrate bei gleichzeitig steigenden Löhnen dafür, dass der Konsum langsam wieder anzieht. Das gibt Hoffnung, dass sich die Situation in den kommenden Monaten wieder ins Positive dreht.

81,8 Prozent der ostwestfälischen Handelsunternehmen bewerten die Wirtschaftspolitik der Bundesregierung als „sehr schädlich“ beziehungsweise als „eher schädlich“ für ihre Geschäftstätigkeit. Welche Punkte werden besonders kritisiert?

Sie nennen den ostwestfälischen Wert. In Minden-Lübbecke sind es mit 78,4 Prozent ähnlich viele Unternehmen. Nicht nur in Richtung Bund, sondern generell sehen die Handelsunternehmen neben vielen anderen Punkten besonders die Komplexität und Höhe der Steuern, die Bürokratie und Behördeneffizienz und die Energieversorgung einschließlich Energiekosten kritisch.

Blicken wir konkret auf Minden und besonders die Innenstadtentwicklung. Das Wesertor hat nicht die erhoffte Belebung der Innenstadt gebracht. Muss der Schuss beim zweiten Großprojekt, der Entwicklung der Obermarktpassage, nun sitzen?

Jahrzehntelang wurde die Idee verfolgt, die Mindener Innenstadt- Einkaufslage nach einem „Knochenmodell“ mit den beiden markanten Endpunkten und Frequenzbringern Karstadt an der Weserbrücke einerseits sowie Obermarktpassage andererseits und der dazwischen liegenden ungewöhnlich langen `Lauflage` zu entwickeln. Das konnte in der Realität nie überzeugend mit einem dichten Besatz von innenstadttypischem Einzelhandel und Dienstleistungen umgesetzt werden. Dazu waren unter anderem die Kaufkraft in Minden und der Kaufkraftzufluss von außerhalb zu gering.

Es wurde auch über ein anderes Konzept nachgedacht, das wurde aber nicht weiterverfolgt.

Zwischenzeitlich wurde auch ein Kunden-Rundlauf diskutiert, der aber unter anderem wegen des Scheiterns des damaligen Shoppingcenter-Projektes „Domhof-Galerie“ nicht zustande kam. Der Schwerpunkt der Mindener Haupteinkaufslage liegt mehr und mehr im nördlichen Bereich wie Bäckerstraße und Scharn. Wir hoffen, dass die Wiedernutzung der Obermarktpassage gelingt und sich ein wirtschaftlich tragfähiges Modell entwickelt. Davon könnte auch das nähere Umfeld einschließlich der Tiefgarage unter dem ZOB profitieren. Ob damit auch eine positive Ausstrahlung auf die gesamte innerstädtische Haupteinkaufslage verbunden ist, wird sich nach der Eröffnung zeigen.

„Das Salz in der Suppe sind natürlich die einzigartigen, familiengeführten Handels- und Dienstleistungsunternehmen mit ihren individuellen Angeboten und Konzepten.“ Karl-Ernst Hunting

Die Geschäftsführerin des Frequenzbringers Hagemeyer, Daniela Drabert, äußerte kürzlich gegenüber dem Mindener Tageblatt, dass große Ketten wie beispielsweise Zara nur in Städten mit mehr als 200.000 Einwohnern Ladenflächen mieten. Müsste Minden vielleicht mehr auf die Werbetrommel hauen, um sich auch für solche beliebten Ketten hübsch zu machen?

Das Standortmarketing für Minden wird ja hauptsächlich und erfolgreich durch Minden Marketing durchgeführt. Laut IHK-Standortumfrage aus der ersten Jahreshälfte 2022 liegt die Zufriedenheit der rund 100 antwortenden Mindener Unternehmen mit diesem Standortfaktor etwa im Durchschnitt der auf Kreisebene antwortenden rund 530 Unternehmen. Aber natürlich setzen wir uns besonders zur Kreisstadt Minden mit ihrem teils ländlichen und teils moderat verdichteten Umfeld für mehr Mittel für zusätzliche Standortmarketingaktionen ein. Das bringt mehr Besucherinnen und Besucher nach Minden. Das wiederum ist Voraussetzung für die Ansiedlung attraktiver Handelsunternehmen. Und genau bei diesen Unternehmen lohnt es sich, für Minden zu werben, denn wir haben einen permanenten Wandel beim Besatz mit Einzelhandels- und Dienstleistungsunternehmen. Neue Unternehmen, die weiteres Publikum anziehen und die Bandbreite des Angebots bereichern, sind willkommen.

Oft wird kritisiert, dass der Handelsbesatz in den Innenstädten quasi gleich beziehungsweise austauschbar ist. Ist vor dem Hintergrund einer solchen Kritik, eine derartige „Verkettung“ überhaupt erstrebenswert? Schließlich verringern auch große Ketten zunehmend ihre Verkaufsflächen.

Auch wenn große Filialisten in den Haupteinkaufslagen anderer Städte zu finden sind, können sie in Minden sinnvoll sein. Oft werden solche Angebote von den Kundinnen und Kunden erwartet, bringen also Frequenz in die Stadt. Von dieser profitiert dann auch der bereits ansässige Handel. Das Salz in der Suppe sind natürlich die einzigartigen, familiengeführten Handels- und Dienstleistungsunternehmen mit ihren individuellen Angeboten und Konzepten. Sie tragen zur Unverwechselbarkeit von Innenstädten bei. Ergänzend muss natürlich die Aufenthaltsqualität in der Haupteinkaufslage stimmen und immer weiter optimiert, aufgefrischt und aktualisiert werden. Auch das gehört zum Erwartungsspektrum der Besucherinnen und Besucher.

Innenstädte und der Klimawandel werden auch zunehmend zu einem Thema. Könnten Maßnahmen für ein angenehmeres Mikroklima, wie Wasserspiele oder größere Grünflächen, eine Chance sein, die Aufenthaltsqualität zu steigern?

Ja, es ist wichtig, dass in den Haupteinkaufslagen ausreichend Gelegenheiten bestehen, wo sich die Besucherinnen und Besucher wohlfühlen und gerne aufhalten. Das gilt für die Temperaturen genauso wie für die Ausstattung beispielsweise mit Sonnenschutz, aber auch mit attraktiven Fixpunkten. In diese Richtung geht ein Punkt, der unlängst in einem Workshop zur Innenstadtentwicklung genannt wurde: Die Nachbesserung beziehungsweise die Weiterentwicklung der Aufenthaltsqualität, der vor nicht allzu langer Zeit sanierten Mindener Fußgängerzone – auch durch bauliche Maßnahmen – um beispielsweise einzelne Teilabschnitte unverwechselbarer zu machen.

Abschließend sollten wir noch über die angedachte Entwicklung der Schlagde sprechen. Als Einfallstor ist sie im jetzigen Zustand unattraktiv, hat aber für den Innenstadthandel eine wichtige Funktion. Wie steht die IHK zu den jüngst vorgestellten Ideen?

Die Umgestaltungsabsichten der Stadt zur Schlagde unter Wegfall der dortigen Pkw-Stellplätze sind der IHK von der Stadt vorgestellt worden. Diese Einbringungsmöglichkeit sehen wir positiv. Aus Sicht der Wirtschaft gibt es Pro und Contra: Großes Gewicht hat die mit der Umgestaltung verbundene bessere Einbindung der Weser in die Innenstadt von Minden und die Verbesserung der Aufenthaltsqualität. Das wünschen wir uns schon längere Zeit, denn die Weser bietet damit ein attraktives Seltenheitsmerkmal, über das nur wenige Städte verfügen. Andererseits fallen 354 Stellplätze weg. Jedoch gibt es im näheren und im etwas weiteren Umfeld der Innenstadt ein großes Stellplatzangebot.

Ist das als ein „Ja“ der IHK zu den Plänen zu werten?

Wir müssen aufpassen, dass die Stellplatzqualität, wie etwa die Stellplatzbreite, und die Entfernung zur Fußgängerzone stimmen. Wichtig ist auch eine passende zeitliche Abstimmung zwischen Stellplatzneubau, -sanierung und Stellplatzbeseitigung. Minden ist mehr als viele andere Städte auf den Zufluss von Kaufkraft aus dem Umland angewiesen. Nach wie vor gilt der Spruch: Kundschaft verlieren ist nicht schwer, Kundschaft gewinnen umso mehr.