Lemgo. Jeden Tag haben Menschen Ideen: Bei der Arbeit, in der Familie oder beim Theaterbesuch fallen ihnen Möglichkeiten ein, wie Produkte, Abläufe oder Zustände verbessert werden könnten. Meistens passiert mit diesen Ideen – nichts. Damit das zukünftig anders wird, startet die Technische Hochschule Ostwestfalen-Lippe (TH OWL) ihr erstes Transferjahr.

„Die TH OWL steht seit jeher für eine besondere Nähe zur Praxis: Jeden Tag werden kleine und große Dinge an vielen Stellen neu gemacht, anders gemacht, besser gemacht oder erstmals gemacht“, betont Professor Stefan Witte, Vizepräsident für Forschung und Transfer. „Jetzt möchten wir das Thema Transfer – also den Austausch mit Wirtschaft, Gesellschaft und Kultur – noch stärker in der Region verankern und mehr Menschen ermutigen, sich zu beteiligen.“

90 Ideen stehen zur Auswahl

Im Rahmen des Transferjahres 25 konnten Unternehmen, Bürgerinnen und Bürger, Kulturschaffende, Kommunen und jeder Interessierte jetzt Herausforderungen für Projektideen einbringen, die nun von studentischen Gruppen in einem Semester umgesetzt werden.

So sind bereits rund 90 Ideen aus der Praxis zusammengekommen, die jetzt den Professorinnen und Professoren zur Auswahl zur Verfügung stehen und im kommenden Wintersemester bearbeitet werden.

Die Projekte werden regulär in der Lehre verankert, so dass Studierende an einer realen Fragestellung arbeiten können, sich in gemischten Teams organisieren und Feedback erhalten. „Es sind sehr viele interessante Fragestellungen bei uns eingegangen oder in Zusammenarbeit mit unseren Transfermanagerinnen und -managern in Ideation-Formaten identifiziert worden“, erläutert Julia Wunderlich aus dem Projektteam.

Idee: Barrierefreiheit für Sanitärbereiche

Eine der Ideen stammt von einem Studierenden, der bei Ingenieure ohne Grenzen e.V. ehrenamtlich aktiv ist. Er hat diese Herausforderung eingereicht: Wie lassen sich Internate und Sanitärbereiche so gestalten, dass auch sehbehinderte Menschen sie sicher und selbstständig nutzen können – unter einfachen baulichen Rahmenbedingungen?

Als gemeinnütziger Verein leistet Ingenieure ohne Grenzen e. V. technische Unterstützung in Projekten der Entwicklungszusammenarbeit. Dazu zählen unter anderem die Planung und Umsetzung von Wasserversorgungen, Energieinfrastruktur oder sanitärer Grundversorgung in ländlichen Regionen weltweit.

In vielen Regionen des Globalen Südens sind Schulen funktional ausgebaut, berücksichtigen jedoch kaum die Bedürfnisse von Menschen mit Behinderung. Barrierefreiheit wird meist auf Rollstuhlgängigkeit reduziert. Für Menschen mit Sehbeeinträchtigung fehlen durchdachte bauliche Strukturen, etwa taktile Orientierungshilfen, kontrastreiche Gestaltung, klare Raumorganisation oder sichere Wegeführungen.

Ziel des studentischen Projekts an der TH OWL im Wintersemester ist daher die Entwicklung beispielhafter Konzepte für Schulen und Sanitärbereiche, die barrierearm gestaltet sind, mit lokal verfügbaren Materialien realisierbar wären und keine Hochtechnologie voraussetzen. Dabei sollen kulturelle und klimatische Rahmenbedingungen berücksichtigt werden.

Idee: Wie Handwerksbetriebe im ländlichen Raum neue Kunden erreichen

Die Tischlerei Schöning hat folgende Herausforderung eingereicht: Ein Handwerksbetrieb im ländlichen Raum steht vor der Aufgabe, seine Außenwahrnehmung zu stärken und neue Kundengruppen anzusprechen, um auch bei Wegfall einzelner Auftraggeber zukunftssicher aufgestellt zu sein.

Die Entwicklung kann ein kreatives Kommunikationskonzept umfassen, das die Stärken des Betriebs sichtbar macht, auf die regionale Zielgruppe zugeschnitten ist und mit überschaubaren Mitteln umgesetzt werden kann. Denkbar sind Bausteine wie Social-Media-Ideen, Kooperationen im regionalen Umfeld, kleine Eventformate oder mediale Darstellung ausgewählter Projekte.

Das Projekt soll bewusst mehrere Perspektiven integrieren: strategisch, visuell und handwerklich-praktisch. Die Tischlerei Schöning kann hier als Fallbeispiel betrachtet werden, die Projektgestaltung kann auch allgemein auf Handwerksbetriebe im ländlichen Raum erweitert werden.

Projekte sind über Datenbank abrufbar

Die Ideen wurden ausgewertet und Projektaufgaben aus ihnen abgeleitet. Aus einer Datenbank können nun alle Professorinnen und Professoren genauso wie Studierende ab dem dritten Bachelorsemester aller Studiengänge jeweils ein Projekt auswählen, an dem sie im Wintersemester arbeiten wollen.

 

Dialogmanager Jan Pilgrim vom Institut für Wissenschaftsdialog der TH OWL führt eine Gruppe des Landesverbands Lippe und engagierten Bürgerinnen und Bürgern durch einen Ideation-Prozess – am Ende standen drei Herausforderungen, die nun als Projekte zur Auswahl stehen. Foto: TH OWL
Dialogmanager Jan Pilgrim vom Institut für Wissenschaftsdialog der TH OWL führt eine Gruppe des Landesverbands Lippe und engagierten Bürgerinnen und Bürgern durch einen Ideation-Prozess – am Ende standen drei Herausforderungen, die nun als Projekte zur Auswahl stehen. Foto: TH OWL

Ziel ist es, innovative Impulse und Lösungen für eine nachhaltige, lebenswerte und zukunftsorientierte Region OWL zu schaffen – mit klugen Köpfen, frischen Ideen und interdisziplinären Perspektiven.

„Das Transferjahr 25 ist unsere Antwort auf die komplexer werdenden Herausforderungen unserer Zeit“ Professor Stefan Witte

„Das Transferjahr 25 ist unsere Antwort auf die komplexer werdenden Herausforderungen unserer Zeit“, sagt Professor Witte. Auch, wer keine Idee einbringen kann oder möchte, wird im Wintersemester zahlreiche Möglichkeiten haben, mitzumachen: Mit Workshops, Diskussionsveranstaltungen, Vorträgen und allerlei Programm wird es ein buntes Begleitprogramm geben.

Für das kommende Wintersemester ist die Ideensammlung abgeschlossen. Aber man kann weiterhin Ideen einreichen. „Es geht aber keine Idee verloren. Vielleicht gibt es andere Kooperationsmöglichkeiten, oder die Herausforderung kann zu einem Projekt im nächsten Jahr führen“, erläutert Julia Wunderlich.

Mehr unter: www.th-owl.de/transferjahr

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