Kreis Lippe . Noch sei keine Unsicherheit bei den lippischen Unternehmen zu spüren, doch die US-Strafzölle, die US-Präsident Donald Trump angekündigt hat, könnten auch Folgen für die lippische Wirtschaft haben. Andreas Henkel, stellvertretender Hauptgeschäftsführer bei der Industrie- und Handelskammer Lippe zu Detmold, ordnet die aktuelle Situation ein – und erklärt, warum die Zölle auch einen positiven Einfluss auf den deutschen Mittelstand haben könnten. 

Wie bedeutend ist der Export für die Unternehmen in Lippe, Herr Henkel?

Der Export ist extrem bedeutend. Das gilt nicht nur für die großen Mittelständler, etwa Phoenix Contact, Weidmüller oder Isringhausen, sondern es gilt auch für kleinere Mittelständler mit zehn, zwanzig, fünfzig Beschäftigten, die weltweit tätig sind. Das ist ein Trend, der etwa seit Mitte der 90er-Jahre zu beobachten ist, jetzt also fast dreißig Jahre anhält. Mitte der 90er-Jahre hatten wir eine Exportquote von 25 Prozent in Lippe; im vergangenen Jahr lag die Exportquote bei knapp 54 Prozent. Hieran kann man die riesige Entwicklung sehen und wie wichtig es letztlich für Lippe ist, dass wir im internationalen Geschäft gut mitspielen – das gilt übrigens ebenso für ganz Deutschland. Lippes Exportquote ist inzwischen höher als der Bundesschnitt und weit höher als der NRW-Schnitt.

Welche Branchen betrifft dies vor allem?

Der Fokus liegt ganz klar auf der Industrie. Die ist der Treiber für internationale Handelsbeziehungen und auch für die lippische Konjunktur. Die Industrie sorgt dafür, dass in den nachgelagerten Dienstleistungs- und Handelsbereichen etwas passiert. Aber auch branchenübergreifend ist Lippe inzwischen sehr international. Hier sind exemplarisch in Lippe bekannte Unternehmen wie Wortmann oder Ecclesia zu nennen.

Welche Rolle spielt die USA als Handelspartner für die lippische Wirtschaft?

Wir machen circa alle acht Jahre eine größere Umfrage bei unseren Mitgliedsfirmen und fragen: Habt ihr ein Auslandsgeschäft? Wo seid ihr unterwegs im Export oder Import? Arbeitet ihr mit Handelsvertretern? Gibt es im Ausland vielleicht sogar eigene Produktionsstätten? Wir stehen aktuell kurz vor einer solchen Umfrage, deswegen sind die Zahlen, die ich zurzeit nennen kann, noch aus der Vor-Coronazeit.

Und wie sehen diese Zahlen aus?

Wir haben gut hundert Firmen in Lippe, die Aktivitäten mit den USA haben, die Masse davon im Exportbereich. Das bedeutet, dass die Industrie dort vor allem verkauft. Hinzu kommen Unternehmen, etwa 30 bis 35, die Vorprodukte aus den USA benötigen, wie Rohstoffe. Daneben haben wir 20 bis 25 Unternehmen in Lippe, die in den USA eine Vertriebsniederlassung oder sogar eine eigene Produktionsstätte haben. Das sind, wie gesagt, bereits ältere Zahlen, die mittlerweile deutlich höher sein werden. Ich gehe davon aus, dass die USA zu den fünf wichtigsten Handelspartnern für lippische Unternehmen gehören.

Also ist die Bedeutung in den vergangenen Jahren gestiegen?

Definitiv! Und was auch zur Wahrheit gehört: Deutschland bzw. die EU liefern deutlich mehr in die USA als umgekehrt – das ist ja der Aufhänger für Donald Trump, um Zölle und weitere Handelsbeschränkungen einführen zu wollen. Er argumentiert mit einem großen Handelsdefizit für die Vereinigten Staaten und damit, dass die EU in einigen Fällen höhere Zölle nähme als umgekehrt die USA, z. B. bei Autos. Hier müssen wir uns jedoch die Zahlen genau anschauen: Beim Warenhandel ist die Europäische Union zwar mit 157 Milliarden Euro gegenüber den USA vorn. Wir tauschen allerdings nicht nur Waren aus, sondern auch Dienstleistungen, bspw. Softwareprodukte von Apple, Microsoft und Co. In diesem Bereich gibt es einen Überschuss seitens der USA in die EU hinein, ebenfalls im dreistelligen Milliardenbereich. Das verschweigt Donald Trump genauso wie die Tatsache, dass für Pick-Up-Fahrzeuge die Zölle in den USA weit höher sind als umgekehrt in der EU. Übrigens haben Handelsdefizite meist auch damit zu tun, dass die eigene Industrie schwach und nicht wettbewerbsfähig ist.

Es war zu lesen, dass Trump als erstes Strafzölle von 25 Prozent für Aluminium, Stahl und Eisen angekündigt hat. Wie ist der aktuelle Stand?

Trump wird Strafzölle von 25 Prozent auf alles, was mit Eisen, Stahl und Alu zusammenhängt, ab dem 12. März in Kraft treten lassen. Das sind zolltechnisch recht komplexe Artikel mit vielen Unterprodukten. Auf welche Waren sich die Strafzölle letztlich beziehen werden, wissen wir aktuell noch nicht. Das hängt von einzelnen Ausführungsbestimmungen ab, die seitens der USA noch veröffentlicht werden. Wenn es tatsächlich für alle Produktgruppen gilt, reden wir über einen Wert von 4,6 Milliarden Euro, die im Jahr 2023 aus Deutschland in die USA geliefert wurden. Mit 25 Prozent extra Zoll sind wir dann bei über einer Milliarde Euro, die diese Produkte in den USA teurer würden. Schauen wir mal, wen das am Ende mehr trifft – uns oder die amerikanische Wirtschaft. Wir haben jedoch schon gelernt, dass Trump in seinen Aussagen schwankend sein kann. Vielleicht pokert er jetzt einfach mal und führt die Zölle für ein paar Wochen oder Monate ein und schaut, wie die anderen reagieren. Letztlich benötigen die USA viele, vor allem hochwertige Produkte aus bestimmten Ländern.

Rechnen Sie noch mit weiteren Strafzöllen?

Im für uns wichtigen Bereich der Kfz hat Donald Trump ebenfalls Zölle angedroht. Auch hier argumentiert er mit einem Ungleichgewicht zwischen den USA und der EU. Die USA erheben aktuell 2,5 Prozent auf europäische Pkw. Umgekehrt erhebt die EU 10 Prozent auf US-amerikanische Fahrzeuge. Das klingt in der Tat ungleichgewichtig. Wenn wir aber den Vorhang mal etwas zur Seite schieben, sieht es anders aus. Bei Pick-Ups etwa, die in den USA ein Drittel des Fahrzeugmarktes ausmachen, fallen in den USA schon heute 25 Prozent Zölle an, also deutlich mehr als bei der Einfuhr in die EU. Trump droht damit, diese 25 Prozent auf alle Fahrzeuge anzuwenden. Das würde die deutsche Wirtschaft schon treffen.

Der Export ist für die lippische Wirtschaft sehr bedeutend. Ein Handelskrieg hätte daher auch Auswirkungen auf die regionalen Unternehmen, betont Andreas Henkel von der IHK Lippe. Symbolfoto: Pixabay

Ist schon eine Unsicherheit seitens der Unternehmen in Lippe zu spüren?

Uns erreicht aktuell keine massive Protest- oder Besorgniswelle. Erst vor ein paar Tagen hatten wir unsere Vollversammlung, in der auch viele Industrieunternehmen involviert sind, die mit den USA Handelsbeziehungen pflegen oder dort sogar eigene Niederlassungen oder Produktionsstätten haben. Auch da ist noch relative Ruhe, zumindest was den wirtschaftlichen Teil der Trump’schen Eskapaden betrifft.

Woran liegt das wohl?

Auf der einen Seite, so vermute ich, sagen sich die Firmen: „Ach, das wird am Ende des Tages vielleicht nicht ganz so heiß gegessen, wie es gekocht wird. Auf der anderen Seite sind Unternehmen mit für die USA wichtigen Produkten, z. B. industriellen Zulieferungen, möglicherweise weniger betroffen. Auch Firmen mit eigener Produktion in den USA sind weitestgehend raus aus dem Spiel. Diese haben als Inlandsunternehmen andere Möglichkeiten. Die Frage ist auch, treffen die Zölle die Unternehmen überhaupt unmittelbar – sei es auf Alu, Stahl und Eisen oder vielleicht auch noch für den Kfz-Bereich. Wenn Unternehmen mit einem amerikanischen Importeur arbeiten, ist ein höherer Zoll zunächst mal dessen Problem, sofern nicht Lieferung frei Haus vertraglich vereinbart wurde.

Könnte es dennoch Auswirkungen auf die lippische Wirtschaft geben?

Kann ich natürlich nicht ausschließen. Vor allem im Kfz-Bereich haben wir viele Zulieferer in Lippe aus unterschiedlichsten Branchen. Und wenn sich der Handelskrieg auf weitere Bereiche ausdehnt, z. B. die Elektrotechnik, Maschinen, Chemie usw., dann geht das an Lippe auf keinen Fall spurlos vorbei.

Welche Strategien sind dann notwendig, um die Herausforderung zu meistern?

Wir sind gut beraten als EU, als großer geopolitischer Block inklusive Deutschland, aber auch als normaler lippischer Mittelständler, uns nach alternativen Märkten umzuschauen. Sowohl auf der Importseite als auch auf der Exportseite. Trump bringt uns mächtig in Zugzwang. Das kann aber auch eine Chance für uns sein, in der EU und in Deutschland mal aufzuräumen. Wir haben teils desaströse Wettbewerbsbedingungen im internationalen Vergleich. Ich rede von Energiekosten, Steuerbelastungen und vielem mehr. Ganz oben steht aber alles, was sich rund um Bürokratie, Genehmigungsverfahren und Dokumentation rankt. Was dort in den letzten Jahren auf die Firmen niedergeprasselt ist, schränkt die Wettbewerbsfähigkeit weltweit viel stärker ein als das, was Donald Trump jetzt macht.

Können Sie ein konkretes Beispiel nennen?

Das deutsche Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz, das vor wenigen Jahren in Kraft getreten ist. Gegen jeden Wirtschaftsrat hat das eine politische Mehrheit in Berlin gefunden. Es ist ja edel, sich weltweit um faire Bedingungen zu sorgen, Kinder- und Sklavenarbeit zu bekämpfen, Umwelt zu schützen. Aber das wird man nur erreichen, wenn man sich mit den großen Blöcken verständigt. Wenn Deutschland allein vorprescht, hat das weltweit keinen positiven Effekt. Aber das Bürokratiemonster, das man mit einer Flut an Vorschriften geschaffen hat, belastet hierzulande den Mittelstand massiv. Deswegen haben wir das heftig kritisiert. Und mal ehrlich: Wie soll ein lippischer Mittelständler z. B. Einfluss auf den Abbau von Bodenschätzen im Kongo oder in China ausüben? Das schafft ja nicht einmal die deutsche Politik.

Dann liegen die Probleme vielleicht eher ganz woanders?

Trump verpasst uns gerade vielleicht eine heilsame Ohrfeige, die die EU und die Deutschland braucht, um sich wieder auf unsere Wurzeln und Stärken zu besinnen. Unser Wohlstand, aber auch der gesellschaftliche Zusammenhalt hängen entscheidend vom Erfolg unserer Wirtschaft ab. Die Politik predigt immer den Mittelstand, hat aber wenig für den Mittelstand in den letzten Jahren getan. Wir müssen diesen wieder stärken mit allem, was er braucht. Dann werden wir uns weltweit zumindest wirtschaftlich gut behaupten. Deshalb steht das auch für uns als IHK ganz oben.

Wie unterstützt die IHK Lippe zu Detmold die lokalen Unternehmen bei der Vorbereitung auf potenzielle Handelshürden?

Unser wichtigstes Gut ist Wissen bzw. der Zugriff auf Wissen, das den Firmen bei der Abwicklung von internationalen Geschäften hilft. Dazu gehören auch Informationen rund um das Zoll- und Außenwirtschaftsrecht. Das ist unsere Stärke, und da können die Firmen von uns auch eine Leistung erwarten. Wir beraten unsere Mitgliedsfirmen aber auch zu Länderthemen. Zu den USA hatten wir bereits im letzten Jahr kurz vor Weihnachten eine Veranstaltung mit ein paar ortskundigen Referenten. Da war Donald Trump gerade frisch gewählt. Zölle waren da auch schon ein Thema. Wir bieten aber auch den Austausch untereinander an, z. B. in unserem Exportstammtisch oder in Gesprächen mit unseren Zollämtern. Ganz praktische Dinge eben. Was die „großen“ Themen betrifft, z. B. die Bürokratie, sind wir immer wieder im Gespräch auch mit unseren heimischen Abgeordneten in Berlin oder Düsseldorf.