Detmold. Wer an die Reduktion von CO2-Emissionen denkt, hat wahrscheinlich sofort Bilder von Staus auf Autobahnen, qualmenden Fabrikschloten oder dutzenden Kondensstreifen am Himmel im Kopf. Der zu starke Ausstoß von Kohlenstoffdioxid, maßgeblich verantwortlich gemacht für den Wandel des Klimas, wird vor allem mit Verkehr und Fahrzeugen in Verbindung gebracht. Aber es gibt auch noch einen anderen Bereich, in dem ein großes Potenzial zur Senkung der CO2-Emissionen besteht: die Baubranche.

Was ist zu tun, um den Bau von Gebäuden möglichst nachhaltig zu gestalten? Eine Antwort darauf hat Prof. Dr. Susanne Schwickert. Im Interview führt die Bauingenieurin der TH OWL aus, vor welchen Herausforderungen der Wandel in der Baubranche steht, welche Möglichkeiten sich bieten und wie der aktuelle Stand beim nachhaltigen Bauen ist.

 

Frau Prof. Dr. Schwickert, was genau versteht man unter nachhaltigem Bauen?

Susanne Schwickert: Damit meint man eine Bauweise, die darauf abzielt, ökologische, ökonomische und soziale Aspekte zu berücksichtigen und so die Umweltbelastung zu minimieren. Ziel ist es, Bauwerke zu schaffen, die über ihren gesamten Lebenszyklus hinweg – von der Planung über den Bau bis hin zur Nutzung und dem Rückbau – möglichst ressourcenschonend und umweltfreundlich sind. Gewöhnlich fallen einem dazu erst mal die rein ökologischen Grundprinzipien ein, aber auch die ökonomische und soziale Nachhaltigkeit, wie zum Beispiel ein gesundes Wohnklima durch die Verwendung schadstoffarmer Materialien, ist für nachhaltige Gebäude essenziell.

Auch Barrierefreiheit gehört dazu, sie macht Gebäude für alle Menschen zugänglich, auch bei eingeschränkter Mobilität. Im Grunde zahlt dieser Aspekt auch wieder auf eine möglichst lange Nutzung ohne große Umbauarbeiten ein. Nachhaltiges Bauen berücksichtigt aber auch die soziale Verantwortung gegenüber der Gemeinschaft, zum Beispiel durch faire Arbeitsbedingungen und die Einbeziehung lokaler Arbeitskräfte. 

Prof. Dr. Susanne Schwickert. Fotorechte: Susanne Schwickert

Und wie sieht es mit der Energieffizienz aus?

Schwickert: Wenn wir uns das Kriterium Energieeffizienz des deutschen Gebäudebestands ansehen, sieht es (auch) nicht gut aus. Positiv ist: Spätestens seit der Energieeinsparverordnung (EnEV) 2002 wird bzgl. Energieeffizienz ein gutes Niveau bei Neubauten verlangt und auch erreicht. Das wird jetzt mit dem Gebäudeenergiegesetz (GEG) weitergeführt. Sorgen macht der riesige Bestand: Der Energieeffizienzstatus des Gebäudebestands in Deutschland zeigt trotz Verbesserungen noch große Herausforderungen im Hinblick auf Klimaneutralität und Energieeinsparung. 

 

Können Sie diese Herausforderungen noch etwas genauer beschreiben?

Schwickert: Rund 72 Prozent der Heizungen in Deutschland werden laut Daten des Bundesverbands der Energie- und Wasserwirtschaft (BDEW) mit Gas oder Öl betrieben, während moderne, klimafreundliche Heizsysteme wie Wärmepumpen lediglich etwa sieben Prozent der Wärmeerzeugung ausmachen. Um das Klimaneutralitätsziel bis 2045 zu erreichen, ist eine umfassende Sanierung des Gebäudebestands notwendig. Die Fortschritte sind momentan überschaubar, denn die Zahl der energetischen Sanierungen liegt weiterhin unter dem nötigen Niveau, um die Emissionsziele rechtzeitig zu erreichen. Es gibt da aber noch ein weiteres Hindernis.

 

Und das wäre?

Schwickert: In Deutschland ist der Gebäudebestand aktuell nur eingeschränkt für die Kreislaufwirtschaft und Wiederverwertung geeignet. Die Rezyklierbarkeit von Baumaterialien ist herausfordernd, da viele Gebäude über Jahrzehnte hinweg ohne Rücksicht auf die Trennbarkeit und Wiederverwendbarkeit von Materialien gebaut wurden. Zwar enthalten Gebäude enorme Mengen an Rohstoffen, wie mineralische Baustoffe und Metalle, die potenziell wiederverwertet werden könnten, doch fehlt es oft an Konzepten, Prozessen und Infrastrukturen für eine umfassende Kreislaufwirtschaft im Bausektor. Auch daran arbeiten wir innerhalb mehrerer Forschungsvorhaben hier in der Region Ostwestfalen-Lippe.

 

Wie teuer ist denn nachhaltiges Bauen? 

Schwickert: Da drängt sich mir ein Vergleich auf, nämlich der mit dem viel geliebten Automobil: Da legt ja manche/r in meinen Augen „unnötig“ große Summen Geldes auf den Tisch für gewisse Annehmlichkeiten. Bei Gebäuden wird gleich gefeilscht um zwei, fünf oder sogar zehn Prozent Zusatzkosten – für die man dann aber auch etwas bekommt: Hochwertige, wartungsarme Konstruktionen, geringe energetische Betriebskosten über etliche Jahrzehnte, eine schadstoffärmere Raumluft, höherer Komfort und höhere Temperaturkonstanz, mehr Barrierefreiheit,… das zahlt sich über eine entsprechend lange Nutzungsdauer gerechnet ökonomisch auch wieder aus – anders als beim Auto…

 

Das Beispiel leuchtet ein. Für alle, die dennoch mit der Finanzierbarkeit hadern: Welche Förderungen gibt es?

Schwickert: Es gibt viele Förderprogramme für nachhaltiges Bauen, die energieeffiziente Bau- und Sanierungsprojekte sowie barrierefreie und klimagerechte Neubauten unterstützen. Am wichtigsten ist die Bundesförderung für effiziente Gebäude (BEG): Diese Förderung bietet Zuschüsse und Kredite für Sanierungen und Neubauten mit energieeffizienten Standards. Speziell für Effizienzgebäude werden je nach Energieeffizienzklasse (z. B. Effizienzhaus 40 oder 55) und dem Einsatz erneuerbarer Energien bis zu 40 Prozent Tilgungszuschuss gewährt. Das Programm unterstützt auch die Fachplanung und Bauüberwachung durch Energieeffizienz-Experten.

Wie hat sich die Produktion von Baustoffen in den vergangenen Jahren verändert?

Schwickert: Die Rohstoffverfügbarkeit spielt eine große Rolle in der Produktion von Baustoffen und -produkten. Wie können neue Bauprodukte und -stoffe aus Bestandsgebäuden gewonnen werden? Welche Rezyklatanteile können in Baustoffe eingebracht werden, um weniger Primärressourcen zu verbrauchen? Welche Rücknahme-Kreisläufe können etabliert werden, um Ressourcen direkt vom Kunden wieder zu erhalten und keine neuen einkaufen zu müssen? Mit diesen Fragen beschäftigen sich die Hersteller.

Biogene, natürliche und nachwachsende Rohstoffe rücken außerdem mehr in den Fokus der Produktinnovationen und Produktion von Baustoffen. Es gibt tolle Beispiele, so wurde z.B. der Lehm für die Stampflehmwände im Neubau des Empfangs- und Ausstellungsgebäudes des Detmolder Freilichtmuseums lokal entnommen und nach einer Aufbereitung bei einer lippischen Firma zum Bau verwendet.

 

Wie sind die technologischen Aussichten für das nachhaltige Bauen? 

Schwickert: Natürliche Materialien sind aktuell wie dargestellt glücklicherweise bei vielen privaten Bauvorhaben geschätzt. Mit ihnen versucht man, die negative Umweltwirkung über den Lebenszyklus gering zu halten. Das Bauen soll oder muss zirkulär werden. Cradle to Cradle (C2C) verfolgt das Grundprinzip des zirkulären Bauens. Hinter C2C verbirgt sich ein Konzept zur Förderung einer geschlossenen Kreislaufwirtschaft, bei der Produkte und Materialien kontinuierlich wiederverwendet oder biologisch abgebaut werden, anstatt als Abfall zu enden. Im Bauwesen kann dieses Prinzip helfen, Gebäude so zu entwerfen, dass Materialien am Ende ihrer Lebensdauer wiederverwendet, recycelt oder kompostiert werden können.

 

 

Persönlich

Ihr Bauingenieurstudium an der TU Braunschweig (Vertiefung Statik und Bauphysik) schloss Susanne Schwickert im Jahr 1996 ab. Nach ihrer Promotion am Institut für Massivbau der TU Darmstadt 2001 zog es sie in die bauphysikalische Beratung. Seit 2005 ist sie an der Detmolder Schule für Architektur und Innenarchitektur der TH OWL für das Fachgebiet Bauphysik und Technischer Ausbau verantwortlich. Sie ist Referentin für energetische und bauphysikalische Themen bei Architekten- und Ingenieurkammern und stellvertretende Sprecherin des iFE-Instituts für Energieforschung. 2023 wurde ihr der Forschungspreis der Hochschule verliehen.